P. Stadler: Epochen der Schweizergeschichte

Cover
Titel
Epochen der Schweizergeschichte.


Autor(en)
Stadler, Peter
Erschienen
Zürich 2003: Orell Füssli Verlag
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Gerhard Frick

Nachdem er für viele seiner historischen Werke immer wieder Anerkennung und Bewunderung geerntet hat, ist Peter Stadler mit seinem jüngsten Buch, «Epochen der Schweizergeschichte», da und dort auf lauten Widerspruch und Ablehnung gestossen. Denn in der Schaffenszeit des stetsfort produktiven Altmeisters ist eine Schar jüngerer Historiker herangewachsen, die die Schweiz anders sehen, denen Stadlers Sicht zu sehr dem traditionellen Bild dieses Landes verpflichtet scheint und die ihre Erkenntnisse im Namen des Zeitgeistes nicht nur neuer, sondern eben ihrer Neuheit wegen auch richtiger finden. Und Stadler seinerseits kennt zwar die Forschungsergebnisse der jüngeren Historiker durchaus; er ignoriert sie keineswegs, wie es einer von ihnen ihm vorgeworfen hat; aber seiner zurückhaltenden Art entsprechend, polemisiert er nicht dagegen und erweckt damit den Anschein der Nichtbeachtung.

Die Gründe für die verschiedenen Betrachtungsweisen hängen alle mit dem früher hoch-, heute geringgeschätzten nationalen Bewusstsein zusammen. Peter Stadler eröffnet sein Buch schon in der Titelei mit einem Bekenntnis zum Sonderfall Schweiz. Für ihn sind nicht alle historischen Gestaltungen und Gestalten gleichwertig. Das Landfriedenbündnis von 1291 ist für ihn nicht ebenso wenig bedeutend wie all die vielen Landesfriedenbünde jener Zeit, aus denen sich keine fortbestehende Eidgenossenschaft entwickelt hat. Und es gibt – unerhört es zu sagen – für Stadler noch grosse Persönlichkeiten in dieser Schweizergeschichte. Ihre kurze Reihe wird von Wilhelm Tell, sogar mit vollen Namen, angeführt. Selbstverständlich ist damit nicht der Teil mit all seinen sagenhaften Ausschmückungen historisch ernstgenommen, aber die Person, die hinter diesem Namen gemeint war – so, wie bei der Schlacht von Sempach Stadler die Möglichkeit, dass ein Einzelner den lanzenstarrenden feindlichen Harst beispielhaft durchbrach, nicht ausschliessen möchte, nur weil bloss eine Sage davon berichtet. Freilich, für die Forscher, die sich seit Jahrzehnten um Entmythisierung bemühen, ist auch diese vorsichtige Sagenbeachtung schon abwegig und überholt. Der behutsame Autor scheut sich auch nicht festzuhalten, was von der patriotischen Geschichtsschreibung des 19. und früheren 20. Jahrhunderts im Gedächtnis bleiben sollte, wobei er sich selber jedoch von deren Pathos klar distanziert. Er ist also nicht im letzten oder gar vorletzten Jahrhundert stehen geblieben; doch billigt er der vergangenen Epoche – wie jede Epoche – zu, dass sie in ihrer Schau der Dinge ernst genommen werden soll. Damit unterscheidet er sich von denjenigen, welche die nationale Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts als «helvetische Nabelschau» und «Sonderfalldenken» abtun.

Überhaupt verhindert die geradezu an Ranke erinnernde Objektivitätsbeflissenheit des umfassend informierten Historikers jede vordringliche Stellungnahme. Mit seinem immensen Wissen kann er es sich leisten, seine Einsichten durch die Fakten, «die Dinge selbst» oder durch historische Persönlichkeiten aussprechen zu lassen. Das bereits erwähnte, ausdrückliche Bekenntnis zum Sonderfall Schweiz stammt nicht von ihm, sondern von Napoleon: «La Suisse ne ressemble à aucun autre pays.» Erst ganz am Schluss des Buches durchbricht Stadler seine Fakten-Vormauer, dort wo er in eigener Stellungnahme dringend nach einer Korrektur der schweizerischen Asylpolitik ruft. Das alarmierend vorgebrachte Verlangen richtet sich gegen eine bereits zurückliegende Asylpolitik. Denn die Niederschrift des Buches ist schon 2002 abgeschlossen worden. Und da es der Autor als seinen wahrscheinlich «letzten grösseren Beitrag zur Schweizergeschichte» bezeichnet, mag darin etwas wie ein Vermächtnis gesehen werden.

Der Titel, «Epochen der Schweizergeschichte», will keineswegs bedeuten, dass nur ausgewählte Epochen zur Sprache kämen. Die ganze Schweizergeschichte von der Prähistorie bis zur jüngsten Jahrtausendwende ist darin enthalten, die früheren, schon vielfach dargestellten Jahrhunderte in gebotener Raffung, das 19. und das 20. Jahrhundert in eindrücklicher Ausführlichkeit, die nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche und kulturelle Geschichte umfasst. Peter Stadler bemüht sich so viel wie möglich, die überbordende Fülle des ihm bekanntes Stoffes auf die Charakteristik der verschiedenen Epochen (Bundesgründung, Expansion, Konfessionalisierung etc.) zu beschränken. Das erlaubt ihm, statt eines Faktenchaos eine sinnvoll zusammenhängende Geschichte zu erzählen.

Zitierweise:
Gerhard Frick: Rezension zu: Peter Stadler: Epochen der Schweizergeschichte. Zürich, Orell Füssli, 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 3, 2004, S. 338-339.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 3, 2004, S. 338-339.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit